Ich habe mich mehrere Jahre mit der Persönlichkeit und der geistlichen Lehre des hl. Paul vom Kreuz, des Gründers des Passionistenordens (1694-1775) beschäftigt. Dabei bin ich recht bald auf das Prinzip gestoßen: Gott, das Alles – der Mensch, ein Nichts. Bei vielen christlichen Mystikern finden wir dieses Prinzip. Es mag überraschen, dass die heilige Therese von Lisieux auch dieses Prinzip kannte. In ihrer Selbstbiographie kommt sie darauf zu sprechen.
Auch im Alten Testament, besonders in den Psalmen, finden wir ähnliche Formulierungen; z.B. im Psalm 39 heißt es: „Meine Lebenszeit ist vor dir wie ein Nichts. Ein Hauch nur ist jeder Mensch.“
Ich hatte mit dieser Maxime anfänglich meine Schwierigkeiten. Wir Menschen können viele Dinge nicht vollbringen. Aber ein „Nichts“ wollen wir nicht sein. Wir sind ein „Etwas“, ein wenig, aber nicht „nichts“. Vor Gott sind wir Menschen sehr klein, das müssen wir zugeben.
Der heutige Mensch steht in der Gefahr, einem anderen Extrem zu verfallen: Ich brauche Gott nicht! Und ob es ihn überhaupt gibt, das kann niemand wissenschaftlich-mathematisch beweisen. Das ist richtig. Denn Gott ist so groß, dass wir Menschen ihn nicht mit unserem Verstand verstehen oder erfassen können. Aber wir können an ihn glauben, uns ihm anvertrauen. Und das haben die Menschen von den ersten Anfängen ihres Daseins getan. Vor gut 2000 Jahren ist Gott in Jesus Christus ein Mensch geworden wie wir. Das wissen wir aus der Bibel. Und das glauben wir.
Das Selbstverständnis des heutigen Menschen ist: wir Menschen vermögen fast alles. Der Mensch hat alles „im Griff“. In der Tat ist der heutige technisch-wissenschaftliche Fortschritt beeindruckend, so dass man der Meinung sein kann: Der Mensch hat alles „im Griff“. Aber ist das wahr?
Für uns Menschen sind zwei Dinge von größter Bedeutung: das Leben und die Gesundheit. Ist der Mensch Herr über das eigene Leben? Herr über seine Gesundheit? Darauf wäre zu antworten: Nein. Der Mensch kann alles Mögliche tun, um seine Gesundheit zu erhalten. Trotzdem kann er krank werden oder sogar sterben. Dennoch haben wir Menschen die Verpflichtung, unsere Gesundheit und unser Leben zu erhalten. Aber wir haben sie nicht „im Griff“. Hier werden die Grenzen unseres Menschseins deutlich. Viele von uns haben selbst schon die Erfahrung der eigenen Begrenztheit gemacht.
Der Mensch ist aber noch zu etwas anderem fähig. Er kann glauben und sich Gott anvertrauen. Wir können zwar Gott nicht mit unserem Verstand erfassen, aber wir können uns ihm anvertrauen, uns in ihm geborgen wissen. Für mich ist die Frage des Daseins Gottes immer schon beantwortet: Jegliches Sein muss seinen Ursprung haben. Nichts kann aus sich allein seinen Ursprung haben. Aus „Nichts“ wird ein „Etwas“.
P. Dr. Martin Bialas CP